Der unterschätzte Weltstar
Viele Unklarheiten im Leben des Freddy Quinn - Er wurde in
Deutschland als Schlagerstar („Junge, komm bald wieder“)
verschlissen, konnte aber viel mehr – Am 27. September feiert
er seinen 85. Geburtstag
Wer ist eigentlich Freddy Quinn ? Eine banal klingende Frage gewiss, und doch
notwendig.
Alle Experten sind sich einig: Der Künstler - er kam als Franz Eugen
Helmuth Manfred Nidl am 27. September 1931 zur Welt - ist die Lichtgestalt der
Schlagerwelt. Doch schon sein Geburtsort hat immer Rätsel aufgegeben: Ist er in
Wien, Niederfladnitz (Österreich) oder Pula (Kroatien) zur Welt gekommen? Egal.
Es war wohl Ende der 1970-er Jahre, als er bei einer privaten Feier die
Abenteuer seines Lebens geschildert hatte und dann lachend erklärte: „Sie müssen
erst mal hören, was ich den Journalisten alles erzähle ...“ Und er wusste einiges zu
erzählen, 1990 bezeichnete er seinen Vater auf einer Pressekonferenz als
„gebürtigen Trientiner“, später stammte der gute Mann plötzlich aus Irland. Freddy
selbst hatte sich Zeit seines Lebens regelrecht in seine „Biografie“ verstrickt – Karl
May lässt schön grü.en.
Es hat auch den Schauspieler Freddy Quinn gegeben, der in 13 - nach
Meinung von Kritikern - zu Recht vergessene Schlagerfilmen („Unter fremden
Sternen“, „Nur der Wind“, „Heimweh nach St. Pauli“) sehr leichte Kost servierte. Der
Inhalt war weitgehend egal: Der Taxifahrer, Kanada-Auswanderer oder Cowboy
(immer der Hauptdarsteller) musste nur zur Gitarre greifen und ein gefühlvolles
Lied schmettern ... Neunzig Minuten lang wurden eben Klischees bedient, aber
ganz ehrlich, konnte man von Schlagerfilmen was anderes erwarten?
Doch was für eine Persönlichkeit hat sich hinter dem Gesicht des umjubelten
Entertainers verborgen? Sie bekamen seine Fans nur in Ausnahmefällen zu sehen.
Zwar stand er längst auf der falschen Seite der Siebzig, doch 2002 bei seiner
Abschiedstournee „Lieder, die das Leben schrieb" konnte man meinen, er sei nicht
älter als fünfzig: Der Mann mit der unverwechselbaren Baritonstimme wirbelte über
die Bühne, war schlagfertig und hatte alle Liedertexte drauf. Am letzten Tag der
Tournee – ausgerechnet im Konzerthaus seiner angeblichen Geburtsstadt Wien –
war der Dinosaurier der Schlagerbranche total verunsichert, in seinen Augen hatten
sich Tränen gesammelt. Er drehte sich zur Seite, niemand sollte in ihn hineinsehen.
Ausgerechnet ihm war so ein Gefühlsausbruch passiert. Den Umgang mit eigenen
Gefühlen hatte er stets geschickt überspielt, doch diesmal wollte es nicht klappen.
Schnell ist man mit dem Wort „Verdrängen" bei der Hand. Aber ist das
wirklich „verdrängen" gewesen? Man muss die Stationen seines Lebens
kennenlernen, um diese Frage beantworten zu können.
Was Jahrzehnte später den Beckenbauers, Kahns und Beckers recht
war, konnte seinen Eltern nur billig sein. Zumindest hieß es so in seiner
angeblichen Biografie, die vermutlich am Schreibtisch seines Ex-Managers Lotar
Olias entstanden war. Danach trennten sich seine Eltern, als der Junge noch klein
war. Einige Zeit später soll Freddys Mutter („Damit der Bub einen Vater hat“) in
Wien eine neue Beziehung zu einem 36 Jahre älteren Baron eingegangen sein.
Dieser Rudolf Freiherr von Petz war total verarmt und hatte seine Lebensaufgabe
im Verfassen von Tiergedichten gefunden. Und wie das oft so ist, der Junge und
sein Stiefvater verstanden sich überhaupt nicht und der Filius brannte mit einem
Zirkus durch.
Seine eigentliche Karriere begann in den 1950-er Jahren in der
Hamburger„Washington Bar“. In dem Lokal hörte ihn Fernsehregisseur Jürgen
Roland („Stahlnetz“) und besorgte ihm erste Auftritte beim Norddeutschen
Rundfunk. Und dann gings richtig los. Die Manager der Plattenfirma „Polydor“
waren davon überzeugt, die beste Strategie für die Nachkriegszeit im Tornister zu
haben. Sie wussten, dass in schwierigen Zeiten die märchenhaften Legenden mehr
sind als eine angenehme Abwechslung. Ab sofort war Freddy der einsame Seebär,
in dessen Gesicht man das ganze Leid der unruhigen Welt („Heimatlos sind viele
auf der Welt“) suchen konnte. Und die Welt dankte es ihm mit 17 goldenen
Schallplatten (u.a. für „Die Gitarre und das Meer" und „La Paloma“), Goldenen
Löwen von Radio Luxemburg, Goldenen Europas, Goldenen Stimmgabeln usw.
Übrigens: „Heimweh" mit dem monotonen Refrain „So schön war die Zeit" hatte
eigentlich René Carol („Rote Lippen, rote Rosen, roter Wein") singen sollen. Freddy
Quinn war kurzfristig als Ersatz eingesprungen, weil sein Kollege wegen
Trunkenheit am Steuer im Knast saß. Später hat René Carol sich schwarz geärgert,
als das Lied 14 Wochen auf dem ersten Platz in Deutschland war. Dumm gelaufen!
Zehn Jahre später landete Freddy einen Welthit mit „Spanish Eyes“ … aber
nur fast. Al Martino schnappte ihm den Song weg und belegte Spitzenplätze in den
Charts dieser Welt. Dumm gelaufen!
Die Hitparaden bestimmten zu dieser Zeit längst weitgehend talentfreie
Eintagsfliegen, die noch vor kurzer Zeit mit der Plastiktröte um den Tannenbaum
gerannt waren. Wäre Quinn nur Schlagersänger gewesen, hätte er bereits Ende
der 1960-Jahre in Rente gehen können. Denn seine Platten kamen nicht mehr in
die Charts. Doch er wurde TV-Moderator, Zirkusartist, Bühnenschauspieler in sehr
leichten Rollen („Charleys Tante“), und so weiter und so fort. Dass Freddy immer
den Wunsch hatte, viele Seiten zu zeigen und nicht nur Schlager zu singen, war
das Allerletzte, was die Branche von ihm erwartete. Auch ohne den Beifall der
üblichen Bedenkenträger wurde aus ihm kein dünn flackerndes Licht im
Showgeschäft. Sogar Anni-Frid Lyngstad („Abba") sang „Junge, komm bald wieder"
in einer schwedischen Version: „Peter, kom tillbaka". Der Name Freddy Quinn zierte
unterdessen Theaterplakate (sogar in London), der Künstler fühlte sich sichtlich
wohl, wenn er eine Rolle außerhalb jeder Quinn-Schublade spielen durfte, so den
kauzigen Westernhelden Sam Hawkens bei den „Karl-May-Festspielen“ in Bad
Segeberg oder den US-General Clark in dem Film „Die wilden Fünfziger“ (Regie:
Peter Zadek).
Natürlich sang Freddy Quinn weiterhin seine Gassenhauer bei Tourneen
durch Europa, Amerika, Asien, Afrika, Australien, aber die Hallen wurden in der
Heimat deutlich kleiner, so trat er nicht mehr in der Dortmunder „Westfalenhalle"
(11000 Plätze) auf, sondern gastierte vor 950 begeisterten Fans im ausverkauften
„Heinz-Hilpert-Theater“ im benachbarten Lünen. Stets reiste er mit großem
Orchester - völlig egal, dass zuletzt die ausgezeichneten Musiker aus Warschau
stammten. Beim Chor dagegen war deutlich zu merken, dass Deutsch eine
schwere Fremdsprache ist. Den größten Beifall in den Konzerten gab es stets für
seine Evergreens, da war Freddy der „Schuhanzieher" für das Kopfkino seines
Publikums, bei neuen Songs wie „Ich brauche Dich" war der Beifall nur höflich, auf
„Ein Mädchen und ein Matrose" oder „Im Supermarkt gleich nebenan" hatte der
Plattenmillionär lieber gleich verzichtet.
Apropos Gesang: Seine alten Hits hat er in den 1990-Jahren nochmal
aufgenommen, doch die Titel (wie die meisten seiner englischsprachigen
Aufnahmen) klangen sehr distanziert, es fehlte die sog. emotionale Nähe, die früher
seine Platten ausgezeichnet und zu Bestsellern gemacht hatte.
In Interviews und persönlichen Gesprächen hat er meistens nur von sich
gesprochen, er ist ein kleiner Egozentriker gewesen – wie es alle richtigen Künstler
nun mal sind. Stets wirkte er auch mürrisch, und man konnte merken, dass er nicht
glücklich war mit der Kunstfigur, die Manager, Plattenfirma und wohl er selbst aus
ihn gemacht hatten.
Am 16. Januar 2008 verstarb seine Dauerfreundin Lilli Blessmann. Danach
zog er sich fast völlig von der Öffentlichkeit zurück. Er schien wieder der Schatten
zu sein, der einst in den 1950-er Jahren in Hamburg aus dem Nichts aufgetaucht
war und jetzt spurlos verschwand. Die letzten Fotos, die heimlich gemacht wurden,
irritieren einige Fans: Früher hatte er viel Wert auf seine Kleidung gelegt und sogar
Maßhemden getragen, auf den aktuellen Bildern wirkt er dagegen wie ein
schwergewichtiger Tramp.
Möglicherweise stimmen sogar die sog. Enthüllungsgeschichten, eventuell ist
auch die Kindheit in Amerika eine Erfindung - aber diese eingestürzten Denkmäler
lassen sofort den Menschen in die Nähe einer Filmfigur von Hans Albers rücken.
Aber wir kennen nicht die psychologischen Gründe für diese Fassade. Die Bilanz
seines widersprüchligen Lebens: Seine Kunst verdient Respekt - und braucht keine
Fantasiestorys.
Wie unterscheidet nun Freddy Quinn von einem talentierten Weltstar?
Eigentlich nur durch die Schreibweise.
Alf Rolla